100 Gramm Wodka

Auf Spurensuche in Russland

 

Gut gesagt:

„Es ist immer leicht, von außen zu urteilen, weil die Dinge aus der Ferne oft schwarz-weiß sind. Etwas ganz anderes ist es aber, vor Ort zu sein und die Komplexität wie auch die Gültigkeit der anderen Perspektiven zu erkennen, selbst wenn man einigen Standpunkten und Meinungen nicht zustimmen kann.“

Es gibt viele Gründe warum Menschen reisen. Sie wollen die Welt entdecken, eine neue Sprache lernen, sich selbst wieder finden oder sie wandeln auf den Spuren der Vergangenheit, sowie Autor Fredy Gareis. Als Sohn von Russlanddeutschen wächst dieser in Deutschland auf. „Über die Vergangenheit spricht man nicht“, scheint das gängige Motto seiner Familie zu sein. Um endlich Antworten auf die vielen offenen Fragen zu finden, macht er sich auf den Weg nach Russland. Von St.Petersburg bis nach Magadan am Pazifik soll seine Reise gehen. Er ist 3 Monate unterwegs, legt über 12.000 Kilometer zurück, lernt unglaublich viele Menschen kennen, blickt in die Seele Russlands und findet endlich Antworten. Dabei bestätigen sich viele Klischees (die Russen trinken wirklich viel Wodka), aber ebenso lernt man eine ganz neue Seite dieses riesigen Kontinents lernen.

Gefällt weil: Russland für mich ein Buch mit 7 Siegeln ist bzw. nun war. Es fängt schon an das ich natürlich wusste, wie groß dieses Land ist, aber nun erst nach dem Lesen von 100 Gramm Wodka verstanden habe, was das tatsächlich bedeutet. So schreibt Fredy Gareis an einer Stelle:„Mit der selben Kilometeranzahl in eine andere Richtung hätte ich Europa schon längst durchquert, hätte in Marokko den afrikanischen Kontinent betreten und wäre jetzt in Dakar im Senegal“(S.202). Verrückt oder?
Auch wurde mir nochmal bewusst, wie eng eigentlich Deutschland und Russland mit einander verknüpft sind und das auf negative, wie aber auch auf positive Weise.
Und selbst wenn unsere Mentalitäten auf den ersten Blick so unterschiedlich erscheinen, darf man auch nie vergessen, wie unterschiedlich wir doch geprägt sind. In dieser Prägung liegt auch sicherlich heute noch der unterschiedliche Umgang mit verschiedensten Ereignissen.
Besonders eindrücklich fand ich allerdings die Schilderungen, wenn der Autor zu Gast bei Fremden war. So wirkt es auf mich, als würden die Einheimischen nach außen hin sehr verschlossen wirken, sobald man sich aber ein bisschen mehr öffnet und in den eigenen vier Wänden ist, fällt dies sofort ab und die Menschen sind gastfreundlicher den je. Auch in dieser Hinsicht hat sich mein Bild Russlands gewandelt.

Trotzt des ja doch eher schwierigen Anlasses dieser Reise und der noch schwereren Vergangenheit, fehlt es Fredy Gareis und allen anderen nicht an Humor. So trifft er Wanja, der Fredy von seiner schrecklichen Vergangenheit in Arbeitslagern erzählt und ebenso von dem ersten Treffen seiner Frau, nur um hinzuzufügen:„Auch so was Schönes haben wir erlebt, Fredy. Das solltest du schreiben“ (S.178). Und um den Kreis wieder zu schließen: man kann eben nicht alles schwarz-weiß betrachten.

Besonders lachen musste ich allerdings auf Seite 183:„“Opel“, wiederholte er und spuckte dabei aus. „Ich fahre Mercedes!“
Dieser Markel wird mich bis ans Ende der Welt verfolgen. Nicht auszudenken, was es für das deutsche Image bedeutet, wenn der Stern einmal sinken sollte.“
Wir werden es ja sehen nach dem Skandal um VW und eben auch Mercedes… Was für eine herrliche (unabsichtliche) Aussage.

Ich muss sagen, das 100 Gramm Wodka momentan ganz oben auf meiner Lieblingsbücherliste für dieses Jahr steht. Es ist eben nicht der klassische Reisebericht in dem der Eine den Anderen mit seinen Reisen versucht zu übertreffen, sondern eine ganz private Geschichte, die die Menschen auch ganz privat porträtiert. Neben der tollen Sprache, die vor allem die Farben Sibiriens für mich greifbar gemacht haben, sind auch die Fotos und die tolle Buchgestaltung an sich zu erwähnen.
Zwar vergebe ich ja keine Sternchen, wenn aber doch, wären das hier 5 von 5!

Fredy Gareis
100 Gramm Wodka
Auf Spurensuche in Russland
256 Seiten | Klappenbroschur
ISBN 978-3-89029-457-5
14,99€ (D) über Piper

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