Morenga – Rezension
Gut gesagt:
„Tagebucheintragung Gottschalks vom 25.9.05
Wie kommt es zur Tötung? Wie können Menschen andere erschießen oder erhängen? Und wie können andere zusehen wie auf einem Jahrmarkt? Was erzeugt diese Teilnahmslosigkeit und darunter diesen fürchterlichen Hass? Vielleicht ist etwas in ihnen, was ihnen selbst hassenswert ist, ein Teil ungelebten Lebens. Was tötet das ab, das Mitfühlen?“
Morenga, S.406
1904 beginnt das deutsche Kolonialreich im damaligen Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, einen blutigen Kolonialkrieg. In seinem Roman Morenga, zeichnet Autor Uwe Timm die Geschehnisse dieser Jahre nach. Den Lesenden begegnet ein verdichteter Roman über den erbarmungslosen Kampf der deutschen Besatzer gegen die Herero und Nama. Mehr als drei Jahre dauerte dieser Krieg an und sollte das ganze Land bis heute verändern. Keine leichte Kost, aber sicherlich notwendig in der Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte und eine Antwort an alle, die diese herunterspielen wollen.
Gefällt weil:
die deutsche Kolonialgeschichte in meinen Augen zu wenig aufgearbeitet ist. Zu sehr ist sie möglicherweise durch die Geschehnisse des zweiten Weltkrieges überschattet und doch ist sie ein durchaus blutiges Kapitel unser jüngeren Vergangenheit.
Uwe Timm hat in Morenga nichts ausgespart und zeigt sehr anschaulich wie brutal und erbarmungslos die deutsche „Schutztruppe“ vorangegangen ist. Auf der anderen Seite gibt es aber auch leise, vereinzelte deutsche Stimmen, die dieses Vorgehen hinterfragen. Wo ist die Menschlichkeit? Wo die christlich-sozialistischen Werte?
Morenga ist sicherlich kein Roman, welcher sich gut vor dem Schlafengehen lesen lässt. Auch hatte ich das Gefühl, das man wirklich dranbleiben muss. Bisweilen sind die vielen militärisch und technischen Erklärungen verwirrend oder gar ermüdend, wenn man selbst nicht ganz in der Materie ist. Und doch sind sie wichtig, denn sie zeigen, wie strategisch und planmäßig die deutschen Kolonialherren vorangegangen sind. Gleichermaßen wird auch deutlich, wie erbarmungslos die namibische Natur ist und Mensch und Tier alles abfordert.
Dennoch habe ich gemischte Gefühle zu Morenga. Auf eine bestimmte Art hat mich das Buch gefesselt und gleichermaßen abgestoßen. Was ich allerdings problematisch finde, ist dass bestimmte Begriffe nicht kommentiert worden sind. In meinen Augen gibt es Wörter und Bezeichnungen, die auch in einem Roman nicht reproduziert werden müssen oder zwingend eine historische Einordnung brauchen. Wie so etwas gut funktionieren kann, sieht man zum Beispiel in zahlreichen Ausgaben von Jenseits von Afrika.
Auch fehlt mir die Seite der einheimischen Bevölkerung. Durch die Zweifel von Protagonist*innen wie Gottschalk und anderen ist das Buch ganz nah an der Grenze zur Relativierung der Kolonialen Geschehnisse. Ich weiß natürlich sehr genau, dass dies nicht Uwe Timms Absicht ist. Dennoch führt es dazu, dass man das Buch mit einer kritischen, hinterfragenden Stimme lesen muss, um die zarten Untertöne zu verstehen und eine Idee davon zu bekommen, was der Autor damit ausdrücken möchte.
Alles in allem möchte ich das Buch dennoch all denjenigen empfehlen, die sich für die deutsche Kolonialgeschichte interessieren, vielleicht etwas Hintergrundwissen mitbringen und bereit sind, ein Buch kritisch hinterfragend zu lesen.
MORENGA
Morenga
Uwe Timm
480Seiten | Taschenbuch
ISBN: 978-3423147613
12,90€ (D) über Amazon [Affiliate Link]
Disclaimer: Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zum Rezensieren zur Verfügung gestellt. Dafür erstmal ein herzliches Dankeschön. Wie immer gilt aber, das Geschriebene spiegelt meine eigene Meinung wieder. Sollte mir etwas nicht gefallen, sage ich das auch. Ansonsten suche ich mir selber aus, welches Buch ich rezensieren möchte. Das heißt du wirst auf Lieschenradieschen nur authentische Leseberichte finden, die meinen eigenen Interessen entsprechen.