Rezension Urlaub vom Patriarchat – Von einer die auszog, das Frausein zu verstehen

Eine Hand hält das Buch "Urlaub vom Patriarchat" von Friederike Oertel gegen eine hellblaue Wand.

Von dem Buch „Urlaub vom Patriarchat“ habe ich erwartet, über eine matriarchale Gesellschaft in Mexiko zu lesen und bekam noch so viel mehr an Wissen und Einblicke obendrauf geschenkt. Statt einer einfachen Gegenentwurfserzählung entfaltet die Autorin Friederike Oertel eine facettenreiche Reflexion über das Patriarchat. Von der historischen Entstehung, die vermeintliche Unverrückbarkeit und zum Glück der Tatsache, dass das Patriachat alles andere als naturgegeben ist. Klasse!

Urlaub vom Patriarchat – Wie ich auszog, das Frausein zu verstehen von Friederike Oertel

„Wenn das hier ein Matriarchat ist“, frage ich nach einer Weile, „aber Männer die Politik machen, woran erkennt man dann die Macht der Frauen?“
Alle lachen und Miguel fragt prompt, ob ich schon auf einer pachanga war.
„Einer was?“, frage ich.
„Einer Fiesta.“
Ich schüttele den Kopf. „Nein, wie kommst du darauf?“
„Wenn du verstehen willst, warum dieser Ort als Matriarchat bezeichnet wird, musst du auf eine pachanga gehen.“
„Ja!“, ruft Fito, der Mann mit der Zahnspange, und rutscht auf seinem Stuhl nach vorne. „Es ist schwer zu erklären, aber dort kannst du es sehen.

– Urlaub vom Patriachat, Seite 103

Darum geht’s in Urlaub vom Patriarchat

Friederike Oertel reist nach Juchitán im Süden Mexikos. Die Stadt wird häufig auch als „Stadt der Frauen“ bezeichnet, denn es ist ein Ort, wo Frauen den Familien vorstehen, Besitz von Mutter zu Tochter weitergegeben wird, und Muxe, Menschen eines dritten Geschlechts, gesellschaftlich anerkannt sind. Doch bald zeigt sich, dass das Matriarchat dort keine gelebte Utopie ist. Auch in Juchitán bleibt politische Macht durch Männer dominiert, patriarchale Strukturen sind weiterhin gegenwärtig und Frauenrechtler*innen und auch Muxe leben in ständiger Gefahr.

Die Erzählung von Friederike Oertel vereint viele Genres, die ich gerne lese, denn „Urlaub vom Patriachat“ ist Reisebericht, Essay, Sachbuch und auch autobiografische Reflexion in einem. Gerade diese Reflexion macht die Erzählung für mich auch so stark. Die Autorin wird sich im Laufe der Reise ihrer Privilegien und ihrer eigenen Sozialisierung im Patriachat mehr und mehr bewusst und thematisiert diese. Sie beobachtet und ordnet ein, ist jedoch in den seltensten Fällen wertend, sondern ist sich viel mehr ihrer Position als Gast im Land und in der Stadt bewusst.

Außerdem hat sie Juchitán nicht zu sehr glorifiziert. Was zunächst wie das vermeintliche Paradies klingt, entpuppt sich als relativ normale Stadt, dessen Bewohner*innen ebenfalls ihre Alltagssorgen haben und nicht alles so rosig ist, wie es in manchen Berichten dargestellt wird. Dies und die vorherigen Aspekte haben die Lektüre insgesamt sehr angenehm zu lesen für mich gemacht.

Darüber hinaus ist das Buch immer wieder mit spannenden historischen Fakten und Erkenntnissen aus der Wissenschaft gepickt. So gerüstet kann eigentlich niemand mehr behaupten, dass Patriachat sei naturgegeben. Und in dieser Botschaft steckt viel Hoffnung. Selbst wenn es im vermeintlichen Matriarchat Juchitán noch viel Arbeit ist, kann etwas menschengemachtes verändert werden und das macht doch Mut, oder?

Zu guter Letzt sollen auch die Menschen nicht unerwähnt bleiben, denen die Autorin während ihres Aufenthalts begegnet. Durch ihre Offenheit und Schilderungen der Lebensumstände in Juchitán und Mexiko ergibt sich wie ein Puzzle Stück für Stück das große Ganze und lässt uns verstehen, wie vielschichtig das Matriarchat in Juchitán aussieht.

Abschließend lässt sich sagen, dass „Urlaub vom Patriarchat“ ein spannendes Buch für alle ist, die sich mit Feminismus, kultureller Diversität, Geschlechterfragen und alternativen Gesellschaftsentwürfen auseinandersetzen möchten. Wer einen reinen Reisebericht erwartet, ist jedoch vielleicht nicht ganz so gut aufgehoben.

Friederike Oertel
Urlaub vom Patriachat

Wie ich auszog, das Frausein zu verstehen
Taschenbuch
336 Seiten | ISBN:   978-3462006285
20€ [D] über Amazon [Affiliate Link]
Erschienen am 08.05.2025 bei Kiepenheuer & Witsch


Disclaimer: Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zum Stöbern und Rezensieren zur Verfügung gestellt. Dafür erstmal ein herzliches Dankeschön. Wie immer gilt aber, das Geschriebene spiegelt meine eigene Meinung wieder. Sollte mir etwas nicht gefallen, sage ich das auch. Ansonsten suche ich mir selber aus, welches Buch ich rezensieren möchte. Das heißt du wirst auf Lieschenradieschen reist nur authentische Leseberichte finden, die meinen eigenen Interessen entsprechen.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Kommentare
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
Schaue alle Kommentare an