Sister Deborah – Ist der Messias eine Schwarze Frau?

Eine Hand hält das Buch Sister Deborah von Scholastique Mukasong gegen eine hellblaue Wand

Eine vielschichtige Geschichte über Glaube, Erinnerung und weibliche Selbstermächtigung.

Es ist eine altbekannte Geschichte. Sobald Frauen den Normen nicht entsprechen, gelten sie als Hexe, Ungläubige oder wahlweise hysterisch. Nicht anders ergeht es Sister Deborah. In den 1930er Jahre verkündet die US-Amerikanerin als Missionarin in Ruanda, dass der Messias eine Schwarze Frau ist. Damit gerät sie in Konflikt mit Kirche, Kolonialmacht und Männern – oft untrennbar miteinander verknüpft, manchmal sogar in einer einzigen Person. Es kommt zum Eklat und Sister Deborah verschwindet, wie vom Erdboden verschluckt.

Sister Deborah – Ein Roman über Widerstand und Unterwerfung

Plötzlich fühlte ich mich verlassen, wie aus mir selbst verbannt. Meine Haut kam mir vor wie eine riesige Schale, die nur noch ein großes Nichts barg. Von meinem vermeintlichen Körper empfing ich kein Lebenszeichen mehr. Ich weiß nicht, wer da noch gestaltlos durch einen Limbusnebel irrte und sich schließlich darin auflöste. Ich war ein letzter Schrei.

– Sister Deborah, Seite 122

Darum geht’s in Sister Deborah

Dass nicht jeder die frohe Botschaft willkommen heißt, nämlich, dass der Messias eine Schwarze Frau sein soll, überrascht kaum. Besonders in den 1930er Jahren, und das sowohl in Ruanda als auch in den USA, stößt eine solche Verkündigung auf Widerstand. Doch unbeirrt verkündet Sister Deborah ihre Botschaft weiter, zieht Männer gegen sich auf – und Frauen auf ihre Seite.

Zwei Jahrzehnte nach ihrem plötzlichen Verschwinden begibt sich Ikirezi auf die Suche nach der Frau, die ihr einst als Kind Heilung schenkte. Ist Sister Deborah in den damaligen Unruhen ums Leben gekommen, oder gelang ihr die Flucht? Ikirezi folgt den Spuren der legendären Missionarin und taucht dabei tief in das Leben einer faszinierenden, geheimnisvollen Frau ein.

„Sister Deborah“ ist ein eindrucksvoller Roman, der mir das kolonialisierte Ruanda auf neue Weise nähergebracht hat. Die Missionierung, untrennbar mit der Kolonialisierung verknüpft, brachte großes Leid über die Menschen. Gleichzeitig blitzt zwischen den Zeilen immer wieder Widerstand auf.

Interessant ist die Erzählweise der Autorin Scholastique Mukasonga, an die ich mich zunächst gewöhnen musste. Besonders in den ersten drei Kapiteln wirkt der Roman fast wie ein Märchen. Wenn das ein bewusst gewählter Stil ist, dann ein kluger, denn ab diesem Punkt verändert sich der zeitliche Erzählstrang von „Sister Deborah“.

Allerdings hätte ich mir eine stärkere historische Einordnung gewünscht. So taucht etwa der Begriff „Boy“ auf, eine koloniale und abwertende Bezeichnung, die ohne Kontext irritiert. Auch wird häufig von „Amerika“ gesprochen, obwohl eindeutig die USA gemeint sind. Diese sprachlichen Unschärfen hätten meines Erachtens sorgfältiger behandelt werden können und haben mich beim Lesen etwas gestört.

Darüber hinaus legt das Buch deutlich mehr Gewicht auf religiöse Themen, als ich erwartet hatte. Ich war davon ausgegangen, dass stärker die Lebensgeschichte von Ikirezi und das Porträt von Sister Deborah als unkonventionelle Frau im Mittelpunkt stehen würden. Sicherlich hatte ich hier aber auch eine falsche Vorstellung, da es nun mal eben um Missionierung, Kirche und den (bzw. die) Messias geht.

„Sister Deborah“ gehört sicher nicht zu meinen Lieblingsromanen in diesem Jahr, dennoch wäre es ein Fehler, das Buch nicht zu lesen. Für mich sind Bücher immer ein Tor zur Welt, und Scholastique Mukasonga hat mir ein Fenster nach Ruanda geöffnet, das mir sonst vielleicht verschlossen geblieben wäre. Es ist zugleich eine tragische Geschichte über Frauen, die nach ihrem Platz in der Welt suchen und dafür bestraft werden, über Menschen, die andere gewaltsam unterwerfen und ein faszinierendes Gedankenspiel, das das Christentum auf den Kopf zu stellen vermag.

Scholastique Mukasong
Übersetzung von Jan Schönherr
Sister Deborah

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
176 Seiten | ISBN: 978-3963480324
24€ [D] über Amazon [Affiliate Link]
Erschienen am 30.10.2025 bei claassen | Ullstein Buchverlag


Disclaimer: Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zum Stöbern und Rezensieren zur Verfügung gestellt. Dafür erstmal ein herzliches Dankeschön. Wie immer gilt aber, das Geschriebene spiegelt meine eigene Meinung wieder. Sollte mir etwas nicht gefallen, sage ich das auch. Ansonsten suche ich mir selber aus, welches Buch ich rezensieren möchte. Das heißt du wirst auf Lieschenradieschen reist nur authentische Leseberichte finden, die meinen eigenen Interessen entsprechen.

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