Es ist das Jahr 1997 und Lily arbeitet in einem Londoner Secondhand Laden. Der Job hält sie gerade so über Wasser, aber ihre Träume hat sie in einem Kokon tief in ihrem Inneren vergraben. Sie steht im Schatten ihrer vermeintlich erfolgreichen Schwester und quält sich durch die wagen Erinnerungen an ihre zu früh verstorbene Mutter, deren Hongkonger Erbe ihr Vater gemeinsam mit dem Tod seiner Frau begraben hat. Aus ihrer Lethargie wird sie von einem unerwartet Brief aus Hongkong gerissen. Lily wird eine Hohe Summe vermacht, doch um dieses Erbe anzutreten, muss sie nach Hongkong reisen. „Du hast mir nie erzählt“ ist ein packender Roman über Familie, Migration und Identität, der Sehnsüchte entfesselt und neugierig auf den weiteren Verlauf der Geschichte Seite um Seite schmelzen lässt.
Du hast mir nie erzählt von Wiz Wharton
Als ihr Flugzeug in Kowloon landete, war es ein Uhr mittags, und die Maisonne wütete bereits erbarmungslos. Die Luft über dem Rollfeld von Kai Tak flirrte und erweckte den Eindruck, als sei es mit kostbaren Juwelen besetzt, statt mit dem eigentlich vorhandenen Öl und Schmutz. Als Sook-Yin mit den Kindern die Flugzeugtreppe hinabstieg, erinnerte sie sich an ein altes Bild aus ihrer Schulzeit: wie sie in Erdkunde oder Chemie irgendeinen Stein in der Hand hielt und von seiner Schönheit völlig angetan war. Narrengold, hatte Schwester Catherine das genannt. Eindrucksvoll, woran man sich erinnerte.
Du hast mir nie erzählt, Seite 300
Darum geht’s in Du hast mir nie erzählt
„Du hast mir nie erzählt“ vereint alles, was für mich einen guten Roman ausmacht: Bildhafte Sprache, Charaktere mit denen man sich identifizieren kann, das Eintauchen in mir unbekannte Welten, Spannung, Humor, Leidenschaft und den Sprung ins Unbekannte!
Als Sook-Yin verstirbt, ist ihre Tochter Lily noch ein Kind. Seitdem wird sie das Gefühl nicht los, dass sowohl ihr vor kurzem verstorbener Vater, als auch ihre augenscheinlich super erfolgreiche Schwester die Erinnerung an ihre Mutter von Lily fernhalten. Als ihr trister Londoner Alltag durch einen geheimnisvollen Brief aus Hongkong unterbrochen wird, und dieser auch noch eine nicht unbeträchtliches Erbe verspricht, fasst Lily einen Entschluss und reist in die Millionen Metropole nach China. Eine ihr weitestgehend unbekannte Stadt, die jedoch so viel dazu beigetragen hat, zu welchem Mensch sie geworden ist. Dies wird ihr immer deutlicher bewusst, während sie sich auf die Spurensuche begibt und einigen interessanten Weggefährt*innen ihrer Mutter begegnet.
„Du hast mir nie erzählt“ gliedert sich in zwei Erzählstränge. In dem einen folgen wir Lily und ihrer Spurensuche und in dem anderen erfahren wir mehr über ihre Mutter Sook-Yin. Wie sie nach London kam, welche Hoffnung und welcher familiäre Druck auf ihr lastete, wie sie sich mühselig ein Einkommen aufbaute, den Vater ihrer Kinder kennenlernte, Rassismus trotzen musste und für einen tragischen Höhepunkt wieder nach Hongkong zurückkehrte.
Beide Erzählstränge werden immer dichter und laufen auf ein Finale in Hongkong zu, wo sich nicht nur für uns als Leser*innen die Vergangenheit mit der Gegenwart verknüpft, sondern auch für Lily so einiges klar wird. Eine absolut interessante Geschichte, fulminant und mit rotem Faden von Wiz Wharton aufgeschrieben. Ein beeindruckender Debütroman, der sicherlich den einen oder anderen biografischen Aspekt enthält, so real ist er verfasst.
Wiz Wharton
Du hast mir nie erzählt
Übersetzt durch Christian Lux
Gebundene Ausgabe
496 Seiten | ISBN: 978-3847901464
24€ [D] über Amazon [Affiliate Link]
Disclaimer: Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zum Stöbern und Rezensieren zur Verfügung gestellt. Dafür erstmal ein herzliches Dankeschön. Wie immer gilt aber, das Geschriebene spiegelt meine eigene Meinung wieder. Sollte mir etwas nicht gefallen, sage ich das auch. Ansonsten suche ich mir selber aus, welches Buch ich rezensieren möchte. Das heißt du wirst auf Lieschenradieschen reist nur authentische Leseberichte finden, die meinen eigenen Interessen entsprechen.