Marta Barone, die Autorin von „Als mein Vater in den Straßen von Turin verschwand“, ist keine 30 Jahre alt, als ihr Vater Leonardo verstirbt. Im Nachlass findet Martas Mutter Prozessdokumente, in denen Leonardo angeklagt wurde, Mitglied einer linkradikalen Bewegung gewesen zu sein. Diese Erkenntnis stellt Martas Welt auf den Kopf und sie versucht das ihr unbekannte Leben des Vaters zu rekonstruieren und vor allem zu verstehen. Warum war Leonardo Teil der Gruppe und warum musste er damals eine Gefängnisstrafe antreten? Über diese Fragen kommt die Autorin nicht nur mit Freund*innen, Geliebten und Parteigenoss*innen aus der Vergangenheit ihres Vaters ins Gespräch, sondern lernt auch mehr über die Geschichte Italiens der 1970er und 80er Jahre.
Als mein Vater in den Straßen von Turin verschwand von Marta Barone
Vom Innenleben meines Vaters wusste ich kaum mehr als von meinen ausgelöschten Vorfahren, und auch das nur vermittelt durch andere. Der Gedanke daran, wie viel da verloren war, war mir unerträglich: Ich wollte sein ganzes Leben, in seiner konkreten Fülle, ich wollte alles retten, obwohl ich wusste, wie unmöglich das war (…). Mir wurde schwindelig. Trotzdem blieb der irrwitzige, aber wohl natürliche Wunsch nach Ganzheit, nach lückenloser Wiederherstellung, und ich bekam doch nur eine löchrige Erzählung zusammen, ein Staubkorn im riesigen, blutigen Mühlstein der Geschichte, und immer fehlte die Stimme ihrer wichtigsten Figur.
– Als mein Vater in den Straßen von Turin verschwand, Seite 164
Darum geht’s in Als mein Vater in den Straßen von Turin verschwand
Als Kind fällt es uns manchmal schwer vorzustellen, dass unsere Eltern ein Leben vor uns hatten. Auch als bereits erwachsenes Kind fällt uns diese Vorstellung schwer. In ihrem autobiografischen Buch „Als mein Vater in den Straßen von Turin verschwand“ versucht die italienische Autorin Marta Barone das Leben ihres Vaters, mit L.B. abgekürzt, zu ergründen. Dieser wurde in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Turin angeklagt, Teil einer linksextremistischen Partei zu sein. Erst nach dem Tod des Vaters, kommt Marta in Berührung mit den Prozessakten. Es beginnt ein Puzzlespiel, in dem die junge Frau mehr und mehr über ihren Vater herauszufinden versucht. Das alles vor der faszinierenden Kulisse Turins und seinen damaligen Klassenkämpfen.
„Als mein Vater in den Straßen von Turin verschwand“ ist ein besonderes Buch, denn es deckt sowohl eine interessante Vater Tochter Beziehung auf, als das es auch einen Blick in das Italien der 70er und 80er Jahre gewährt. Ein Einblick, den ich so noch nie bekommen habe, und der mich manchmal auch ein wenig überfordert hat. Manchmal war es für mich nicht ganz einfach, dem Roman zu folgen. Viele Ereignisse scheinen Teil des kollektiven Gedächtnisses Italiens zu sein, was das Verfolgen der Geschehnisse für außenstehende Personen schwieriger sein mag. Vielleicht liegt es aber auch an meinem Alter. Beides mag denkbar sein.
Nichtsdestotrotz schreibt Marta Barone äußerst interessant und schafft es poetische Sätze zu verfassen, die auf die nüchterne Tonalität der Prozessdokumente treffen. So entsteht ein Mosaik ihres Vaters, welches doch nie ein ganzes Bild ergeben mag. Und vielleicht ist dies auch die Quintessenz menschlichen Daseins. Wir sind Facettenreich und manchmal verstehen vielleicht noch nicht mal wir uns selbst.
Marta Barone
Als mein Vater in den Straßen von Turin verschwand
Übersetz durch Jan Schönherr
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
352 Seiten | ISBN: 978-3462000696
24€ [D] über Amazon [Affiliate Link]
Disclaimer: Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zum Stöbern und Rezensieren zur Verfügung gestellt. Dafür erstmal ein herzliches Dankeschön. Wie immer gilt aber, das Geschriebene spiegelt meine eigene Meinung wieder. Sollte mir etwas nicht gefallen, sage ich das auch. Ansonsten suche ich mir selber aus, welches Buch ich rezensieren möchte. Das heißt du wirst auf Lieschenradieschen reist nur authentische Leseberichte finden, die meinen eigenen Interessen entsprechen.