Auf knapp 700 Seiten erzählt Philipp B. Williams in „Ours. Die Stadt“ eine Geschichte von ehemals versklavten, ohne die Sklaverei als Hauptprotagonistin darzustellen. Durch diesen Kunstgriff entstand ein Roman, welcher die Menschen aus der Anonymität der Masse holt und sie mit all ihren Stärken und Schwächen porträtiert. Inhaltlich geht es um das Städtchen Ours, welches nördlich von St. Louis liegt und in den 1830er Jahren dennoch auf keiner Karte zu finden ist. Denn die mächtige Saint, welche auch Gründerin der Stadt ist, wollte einen Zufluchtsort für gerettete Versklavte schaffen, der ihnen eine sichere Heimat bietet. Doch die vermeintliche Sicherheit beginnt zu bröckeln und die Bewohner*innen von Ours müssen sich einem Wandel stellen.
Ours. Die Stadt von Philipp B. Williams
„Die Menschen gehen, bevor man sie richtig lieben kann. Und das tut weh.“ Luther-Philip berührte seine Brust. „Genau hier.“ „Ich bin bei dir“, sagte Justice und schob seine Hand unter die von Luther-Philip. Sie legten sich hin und schliefen ein, während sie spürten, wie das eine Herz unter ihren beiden Händen brach und sich neu formte.
– Ours. Die Stadt, Seite 494
Darum geht’s in Ours. Die Stadt
„Ours. Die Stadt“ ist wahrlich ein epischer Roman, der für mich insbesondere in die dunklere Jahreszeit passt. Der Autor Phillip B. William verrät in seinen Anmerkungen am Ende des Buches, das er sich viel mit afrikanischer Mythologie, Hoodoo, Zauberei und Spiritualität beschäftigt hat und dieses Wissen fließt in die Erzählung mit ein. Nicht ohne Grund wird der Roman Fans von „Underground Railroad“ empfohlen. Wer das Buch oder die gleichnamige Serie kennt, wird dann allerdings auch einordnen können, in welche Richtung „Ours. Die Stadt“ in Sachen Brutalität geht. Nachvollziehbar, wenn man auch nur ein bisschen um die Schrecken der US-Amerikanischen Sklaverei weiß.
Auch wenn Saint, ihr stummer Begleiter und später auch die Zwillinge maßgeblich für das Fortbestehen von Ours verantwortlich sind, hat der Roman auch reichlich Platz für andere Protagonist*innen. Diese rücken mal mehr oder mal weniger in den Vordergrund, sind aber alle äußerst vielschichtig gezeichnet. Phillip B. Williams hat Charaktere geschaffen, welche nie vollständig gut oder sympathisch sind.
Interessant ist neben den vielen Charakteren sicherlich auch die Erzählform des Autors. Der Roman beginnt zunächst mit einer kurzen Episode in der Gegenwart, welche zurück bis in die 1830er Jahre gespult wird, und die sich aus den Geschehnissen in Ours erklären lässt. Mich haben deshalb vor allem die letzten Seiten sehr berührt und auch wenn 700 Seiten schon eine Hausnummer sind, lohnt es sich darin aufzugehen. Phillip B. Williams hält nicht zu jederzeit seine schöne Sprache durch, umso mehr habe ich mich dann aber über jeden herausstechenden Satz gefreut, welcher mich zum Nachdenken, Schmunzeln oder Mitfiebern angeregt hat.
Vermutlich könnte man „Ours. Die Stadt“ noch ganz wunderbar weiter interpretieren, denn vieles steht zwischen den Zeilen und setzt vielleicht auch noch mehr Wissen über die Geschichte der USA voraus, als ich es habe. Aber auch ohne dieses Wissen ist der Roman gut verständlich und vielleicht ist ja auch genau der Wunsch des Autors, es nicht bei der Lektüre zu belassen, sondern weiter zu recherchieren und zu forschen, um zu verstehen.
Du bist auf der Suche nach einem weiteren Roman, welcher die Gesellschaft der USA versucht zu erklären? Dann sei dir „Demon Copperhead“ von Barbara Kingsolver empfohlen. Demon Copperhead hat ein wahrlich tragisches Leben und wie er immer wieder versucht sich trotz all der Widerstände zu berappeln. Ein fesselnder und emotionaler Roman mit über 800 Seiten.
Philipp B. Williams
Ours. Die Stadt
Übersetzung durch Milena Adam
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
704 Seiten | ISBN: 978-3103976090
28€ [D] über Amazon [Affiliate Link]
Disclaimer: Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Autor zum Stöbern und Rezensieren zur Verfügung gestellt. Dafür erstmal ein herzliches Dankeschön. Wie immer gilt aber, das Geschriebene spiegelt meine eigene Meinung wieder. Sollte mir etwas nicht gefallen, sage ich das auch. Ansonsten suche ich mir selber aus, welches Buch ich rezensieren möchte. Das heißt du wirst auf Lieschenradieschen reist nur authentische Leseberichte finden, die meinen eigenen Interessen entsprechen.