Menschwerdung eines Affen – Eine Autobiografie der ethnografischen Forschung
Rezension
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Gut gesagt
Während Estons Lebensgeschichte eine gradlinige Erfolgsgeschichte ist, ist die meine eher brüchig, schlägt immer wieder verschiedene, sich manchmal überkreuzende Richtungen ein; es gibt Rückfälle und Irrungen; Missverständnisse, Konflikte und Fehlleistungen stehen im Vordergrund, die bei Eston völlig ausgespart bleiben. Während er sein Leben gelebt hat, kann ich auf fast unverschämte Weise (so kommt es mir vor) mit dem Schreiben über meine verschiedenen Feldforschungen noch einmal viele Leben leben.“
Menschwerdung eines Affen, Seite 249
Darum gehts in Menschwerdung eines Affen
Menschwerdung eines Affen ist die außergewöhnliche Autobiografie der Ethnologin, Afrikanistin und Religionswissenschaftlerin Heike Behrend. In den 1970er Jahren begibt sie sich das erste Mal in ihrer jungen Forscherin Karriere ins Feld, wie man in der Ethnologie sagt. Daraufhin folgen viele Forschungsaufenthalte auf dem afrikanischen Kontinent, bei der Heike Behrend nicht nur immer wieder auf Widersprüche, Herausforderungen und neue Erkentnisse trifft, sondern auch eine Ethnologie als wissenschaftliche Disziplin erlebt, die im Wandel ist und sich vielleicht sogar ein wenig neu erfindet.
Eine Autobiografie zu schreiben, ist vielleicht die denkbar schwerste Herausforderung für Ethnolog:innen. Schon früh im Studium wird einem eingetrichtert, sich soweit es geht, herauszunehmen. Schon mit der bloßen Anwesenheit im Feld, verändert der Forschende, die Ethnografierten, ja das ganze Umfeld. Auch wenn man einen Blick auf ethnologische Publikationen wirft, sind diese in den seltensten Fällen ehrlich autobiografisch (eine amüsante und außerordentlich gelungene Ausnahme sind dabei die Bücher von Nigel Barley, die ich jedem nur ans Herz legen kann).
In der Einleitung benennt Heike Behrend diese Herausforderung und beginnt so gleich am Anfang von Menschwerdung eines Affen, ehrlich über ihre eigenen Gefühle zur Ethnologie und der Forschung zu sprechen. In den folgenden Kapiteln nimmt sie die Lesenden dann mit, zu den Herausforderungen im Feld, kritischen Reflektionen über die Ethnologie und all den anderen, zwischenmenschlichen Facetten, die sich zwangsläufig ergeben, wenn man länger mit Menschen an einem Ort forscht.
Gefällt weil:
Ich im Herzen nach wie vor Ethnologin bin und solche Bücher ungemein schätze und gerne verschlinge. Heike Behrend stellt sehr anschaulich da, welche Prozesse Forschende im Feld durchlaufen und wie sich die Disziplin der Ethnologie über die Jahre verändert hat. Nicht nur die Welt ist globaler geworden und seit den 70er Jahren sind etliche neue Medien und Technologien hinzugekommen, auch die Ethnologie hat sich verändert. Die Wissenschaft ist kritischer geworden, hinterfragt die eigene Struktur und wird zunehmend Post-Kolonial. Den „klassischen“ Forschungsgegenstand, wie ihn zum Beispiel ein Malinowski eingefordert hat, gibt es nicht mehr und Forschende müssen sich andere Felder erschließen.
Ich habe die Lektüre von Menschwerdung eines Affen als sehr unterhaltsam empfunden und kann sie nur jedem Empfehlen, der sich ein wenig für die Ethnologie interessiert und einen Blick hinter die Kulissen werfen möchte. Die Autobiografie gibt viele tolle Denkanstöße, die wieder einmal zeigen, dass nichts in unserer Welt statisch oder einseitig zu betrachten ist.
Gerade bei der Einleitung habe ich mich aber gefragt, ob das Buch gut zu verstehen ist, wenn man kein Grundwissen über Ethnologie oder Sozialwissenschaften hat. Ich möchte aber jede:n ermutigen, sich davon nicht abschrecken zu lassen, sondern Menschwerdung eines Affen als inspirierende Lektüre zu genießen.
MENSCHWERDUNG EINES AFFEN
Menschwerdung eines Affen
Eine Autobiografie der ethnografischen Forschung
Heike Behrend
278 Seiten | Gebundenes Buch
ISBN: 978-3406713408
25€ (D) über Matthes & Seitz Berlin
Disclaimer: Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zum Rezensieren zur Verfügung gestellt. Dafür erstmal ein herzliches Dankeschön. Wie immer gilt aber, das Geschriebene spiegelt meine eigene Meinung wieder. Sollte mir etwas nicht gefallen, sage ich das auch. Ansonsten suche ich mir selber aus, welches Buch ich rezensieren möchte. Das heißt du wirst auf Lieschenradieschen nur authentische Leseberichte finden, die meinen eigenen Interessen entsprechen.