„Zerstreuung“ erzählt die Geschichte von Tjipuka und Riette, die sich in britischen Betschuanaland begegnen. Beide sind auf unterschiedliche Art und Weise durch die Kriege gekennzeichnet und traumatisiert, die sie schlussendlich an den selben Ort geführt haben. Tjipuka ist die Tochter eines Herero Oberhaupts und musste vor der grauenvollen Verfolgung der deutschen Kolonialist*innen in die Wüste fliehen. Riette hingegen gerät im zweiten Burenkrieg in Gefangenschaft und wird in ein Lager gebracht. So unterschiedliche die Schicksale der zwei Frauen doch sind, eint die beiden Frauen, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand genommen haben und sich so gut es geht, den widrigen Umständen entgegenstellen.
Zerstreuung
Werbung, da Rezensionsexemplar
Der Traum war so lebhaft gewesen. Sie hatte das Wasser rauschen und die Bienen summen gehört, die Blumen gerochen, durch die sie ging, und die glatten Steine unter ihren Füßen gespürt. Sie hatte Ruhapos Hände auf ihrem Körper gespürt. Sie war dort gewesen. Der Traum schien so real. Nur das Wachwerden schien eine Lüge. Wie konnte ein so lebendiger Mann wie Ruhapo tot sei? Es konnte nur eine Lüge sein. Es dauerte eine Weile, bis sie die Wahrheit wieder akzeptieren konnte (…). In der aufsteigenden Sonne, die gnadenlose Hitze des Tages lag bereits in der Luft, saß Tjipuka neben den Schlafenden in der Wüste und weinte endlich um ihren toten Mann.
Zerstreuung, Seite 176
„Zerstreuung“ von der botswanischen Beststeller Autor*in Lauri Kubutisile, ist ein äußerst berührender Roman über die Schicksale zweier Frauen, die in den Kriegen des südlichen Afrikas versuchen zu überleben. Obwohl die Ausgangslage der beiden unterschiedlicher kaum sein könnte, die eine wird als Tochter eines Herero Oberhaupts geboren und die andere als Tochter eines Niederländer, eint die beiden die Tatsache, dass sie durch die Kriege einer grausamen Realität gegenüberstehen, die man sich kaum vorstellen mag.
Der Roman ist so ehrlich und brutal, wie man es bei dem Thema vielleicht bereits erahnen mag. Nichtsdestotrotz zeichnet Lauri Kubutisile auch Bilder von Ruhe, Liebe, Gemeinschaft und Solidarität in all dem Chaos. Tjipuka und Riette stehen dabei beispielhaft für die Schicksale von Millionen von Menschen und insbesondere Frauen, die im Krieg oftmals mehrfach marginalisiert werden. Beide Frauen sorgen für das Wohlergehen von Kindern, Älteren und Freund*innen. Darüber hinaus sind sie es, die neben der ständigen Todesangst auch mit der Gefahr leben müssen, durch Männer vergewaltigt zu werden.
Auch wenn „Zerstreuung“ keine einfache Lektüre ist, so möchte ich sie doch jedem empfehlen. Es ist wichtig geschichtliche Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen, um sie einordnen zu können. Gerade die deutsche Kolonialgeschichte findet in unserem kollektiven Erinnern zu wenig Raum und bedarf so viel mehr Aufmerksamkeit. Der Roman „Zestreuung“ kann ein guter Ausgangspunkt sein, sei es für die erste Beschäftigung mit der Thematik, oder auch wenn man sich schon etwas besser auskennt.
Was mir besonders gut an „Zerstreuung“ gefällt ist, dass der Roman aus der Sicht von Tjipuka und Riette geschrieben ist. „Heldenerzählungen“ über Männer im Krieg gibt es genug und ich bin es ebenfalls leid Erzählungen über oder von deutschen Kolonialisten (ich gendere hier bewusst nicht) zu lesen. Lauri Kubuitsile bietet eine Perspektive, die längst überfällig war und äußerst willkommen ist.
Das Buch ist flüssig geschrieben, sodass ich es trotz der schwere des Romans kaum aus der Hand legen konnte, und die Übersetzung durch Ivana Maurović und Maria Meinel sehr gut gelungen. Wie immer bei den Büchern aus dem InterKontinental Verlag muss man sich dahingehend aber auch keine Sorgen machen, da sie sich der Wirkmacht von Sprache sehr bewusst sind und achtsame Übersetzungen bieten.
Hinweis: Vom 25.08. – 27.08.2023 findet das African Book Festival in Berlin statt. Neben Lesungen gibt es auch Podiumsdiskussionen über gesellschaftlichen Themen, Konzerte, ein breites Angebot an Essensständen und vieles mehr. Mehr Informationen findet ihr hier: African Book Festival Berlin.
Lauri Kubuitsile
Zerstreuung
Übersetzung durch Ivana Maurović und Maria Meinel
Gebunden
344 Seiten | ISBN: 978-3982328133
24€ [D] über InterKontinental
Disclaimer: Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zum Stöbern und Rezensieren zur Verfügung gestellt. Dafür erstmal ein herzliches Dankeschön. Wie immer gilt aber, das Geschriebene spiegelt meine eigene Meinung wieder. Sollte mir etwas nicht gefallen, sage ich das auch. Ansonsten suche ich mir selber aus, welches Buch ich rezensieren möchte. Das heißt du wirst auf Lieschenradieschen reist nur authentische Leseberichte finden, die meinen eigenen Interessen entsprechen.