Afropäisch – Eine Reise durch das schwarze Europa

Cover des Buches Afropäisch von Johny Pitts

Rezension
Afropäisch – Eine Reise durch das schwarze Europa

Gut gesagt:

Als ich den Ausdruck “afropäisch” zum ersten Mal hörte, regte er mich dazu an, mich selbst als komplett und ohne Bindestrich zu begreifen. Hier war ein Raum, in dem das Schwarzsein an der Gestaltung einer allgemeinen europäischen Identität beteiligt war. Der Begriff eröffnete die Möglichkeit, in und mit mehr als einer Idee zu leben: Afrika und Europa oder, in einem weiteren Sinne, mit dem globalen Süden und dem Westen, ohne gemischt-dies, halb-jenes oder schwarz-anders. Die Möglichkeit, dass schwarz zu in Europa nicht mehr unbedingt bedeutet, ein Immigrant zu sein.

Afropäisch, Seite 15

Darum geht’s in Afropäisch:

Der Autor, Journalist und Moderator Johny Pitts macht sich auf den Weg das Schwarze-Europa zu entdecken. Von seiner Heimatstadt Sheffield reist er einmal quer über den Kontinent von Frankreich, über Schweden nach Russland und Deutschland und bis hin nach Portugal. Dabei ist er auf der Suche nach all den Menschen, die sonst eher im Verborgenen bleiben. Er spricht mit Restaurantbesitzer*innen, Reisenden, Aktivist*innen und einfachen Arbeitern und erfährt so mehr über die ganz unterschiedlichen Biografien der Menschen. 

Auf Grund seiner Herkunft und seiner späteren akademischen Ausbildung hat er kein Problem damit zwischen den Milieus hin und her zu springen und kommt so mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Frauen und Männern ins Gespräch. Dabei verknüpft er die Reportagen mit literarischen Essays und historischen Exkursen, die zu einem zeitgenössischen Portrait eines Europas werden, welches nach wie vor auf der Suche nach seiner postkolonialen Identität ist.

Es wird zum einen deutlich, dass in Europa nach wie vor koloniale Kontinuitäten wirken, gleichermaßen aber das Potential besteht, die multikulturelle Gegenwart zu werden, die so vielzählig in der Politik beschworen wird. Johny Pitts Afropäisch ist dabei ein wichtiger, interessanter und unterhaltsamer Schritt in die richtige Richtung.

Gefällt weil:

Afropäisch mir als Begriff und Konzept tatsächlich das erste Mal mit der Buchankündigung des Suhrkamp Verlags begegnet ist. Afroamerikanisch ist uns sicherlich allen geläufig und konstruiert sich aus der jahrhundertealten Verknüpfung zwischen der erzwungenen und freiwilligen Einwanderung von Schwarzen Menschen. Es impliziert allerdings auch, dass es trotz aller Rassismen, ein Schwarzes US-Amerika gibt. In Deutschland und Europa ist dies ein wenig anders. Europäische Geschichte ist in den seltensten Fällen im öffentlichen Diskurs durch Schwarze Menschen geprägt und der Autor Johny Pitts hält berechtigterweise fest, dass es in den Köpfen vieler Menschen nicht denkbar ist, Schwarz und Europäer*in zu sein. Es schließt oftmals die Frage an, ” und wo kommst du wirklich her?”

Afropäisch ändert nun all das. Es rückt den Fokus auf die ebenfalls lange Tradition von Schwarzer Menschen in Europa und es hilft uns zu begreifen, dass sich Schwarz und Europäer*in sein nicht ausschließt. Wie im Eingangszitat erwähnt ist es Teil der Identität und kein entweder-oder.

Ähnlich wie ich gerade, zieht auch Johny Pitts oftmals den Vergleich mit den USA. Dies ist einerseits schade, sollte es doch um die afropäische Geschichte gehen, gleichermaßen ist es aber auch notwendig. Es zeigt uns, dass die USA und Europa in vielerlei Hinsicht nicht zu vergleichen sind, hält uns aber auch vor, dass wir für institutionell-rassistische Strukturen nicht erst über “den großen Teich” blicken müssen.

Was hier nun nach wissenschaftlicher Theoretisierung klingt ist sicherlich auf der einen Seite einer begeisterten Sozialwissenschaftlerin geschuldet, andererseits ist Afropäisch aber auch noch so viel mehr. Zunächst ist es der Reisebericht eines Schwarzen Reisenden, was in der populären Literatur leider viel zu selten vorkommt. Reisen ist ein Privileg, welches gleichermaßen auch ein Weißes-Privileg zu sein scheint. Umso besser ist es nicht-Weiße Stimmen zu hören, ihnen Raum zu geben und von ihren Erfahrungen zu profitieren.

Außerdem ist Afropäisch ein spannendes Portrait von Europa. Die Erzählungen brechen mit tradierten Vorstellungen und Stereotypen und zeigen ein Europa, welches wir so vielleicht noch nie gesehen oder bereist haben.

Und drittens ist Johny Pitts ein Hervorragender Geschichtenerzähler. Man merkt das er von Haus aus Journalist ist. Es gelingt ihm hervorragend, Porträts von Menschen lebendig werden zulassen und gleichermaßen komplexe Sachverhalte, historische Tatsachen und literarische Werke zu verknüpfen und immer wieder einfließen zu lassen.

Die Lektüre von Afropäisch lege ich allen ans Herz, die über den eigenen Tellerrand hinausblicken wollen, einen spannende Reisebericht über Europa lesen möchten und gerne gute Fotografien genießen. All das vereint das Buch für mich und ich würde mich freuen, wenn Afropäisch so viele Menschen wie möglich erreicht.

AFROPÄISCH

Afropäisch
Eine Reise durch das schwarze Europa
Johny Pitts
Übersetzt durch Helmut Dierlamm

461 Seiten | Gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3518429419
26€ (D) über Amazon [Affiliate Link]


Disclaimer: Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zum Rezensieren zur Verfügung gestellt. Dafür erstmal ein herzliches Dankeschön. Wie immer gilt aber, das Geschriebene spiegelt meine eigene Meinung wieder. Sollte mir etwas nicht gefallen, sage ich das auch. Ansonsten suche ich mir selber aus, welches Buch ich rezensieren möchte. Das heißt du wirst auf Lieschenradieschen nur authentische Leseberichte finden, die meinen eigenen Interessen entsprechen.

Anmerkung: Ich schreibe die Wörter Schwarz und Weiß bewusst groß, da mit diesen Begriffen komplexe soziale, historische und politische Beziehungen einhergehen. Nicht gemeint ist eine vermeintliche Zuweisung von überholten Konzepten wie “Rasse”, welches anhand einer vermeintlich Dichotomisierung der Hautfarbe in schwarz und weiß konstruiert wurde und nach wie vor auch wird.

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