William Melvin Kelleys Ein anderer Takt

Cover des Buches Ein anderer Takt von William Melvin Kelley

Rezension „Ein anderer Takt“

Gut gesagt:

Kein Wort ist von vornherein schlecht. Es ist bloß ein Wort, und dann geben die Leute ihm eine Bedeutung. Es kann sein, dass du es gar nicht so meinst, wie die anderen Leute es verstehen.

„Ein anderer Takt, Seite 50

Darum geht’s in „Ein anderer Takt“

Die kleine Stadt Sutton, liegt mitten in einem fiktiven Staat im Süden der USA. An einem verschlafenen Nachmittag, der sich nicht allzu sehr von anderen Nachmittagen in Sutton unterscheidet, im Sommer 1957, entschließt sich der Farmer Tucker Caliban etwas ganz und gar Außergewöhnliches zu machen. Zunächst bestreut er seine Felder mit Salz, ehe er sein Pferd und seine Kuh erschießt, das Haus niederbrennt und mit Frau und Kind die Kleinstadt für immer hinter sich lässt. Überall im Staat folgt im die Schwarze Bevölkerung zieht gen Norden. Fassungslos beobachtet, durch die zurückgebliebene Weiße Bevölkerung.

Jeder der zurückgebliebenen Menschen findet seine ganz eigene Erklärung, für diesen unerwarteten und unerklärlichen Auszug. Aber war dieses Ereignis wirklich nicht hervorzusehen?

Gefällt weil:

„Ein anderer Takt“ ein verlorener Klassiker der US-Amerikanischen Literaturgeschichte ist. Der Autor William Melvin Kelley ist Afro-Amerikaner und schreibt als Schwarzer Autor über ein Weißes Amerika. Allein dies ist für das Erscheinungsjahr des Romans, 1962, außergewöhnlich und macht es so spannend. Es findet ein Perspektivwechsel statt, der nicht unbedingt unserem Leseverhalten entspricht, aber absolut notwendig ist.

Der Roman ist außerdem so interessant, weil er einen guten Eindruck vermittelt, wie sich der Norden und der Süden der USA vermitteln. „Ein anderer Takt“ geht weit darüber hinaus historische Erklärungen zu liefern, sondern hilft dabei, sich greifbar in die unterschiedlichen Charaktere zu versetzten. Was ich dabei so spannend finde, ist dass die Geschichte durch rein Weiße Personen erzählt wird. Die Lesenden versuchen sich also genauso wie die fiktiven Charaktere, einen Reim darauf zu machen, wieso es zum Auszug der Schwarzen Bevölkerung kommt.

Ich hatte beinahe den Eindruck, dass durch das Stillschweigen, aber auch durch das Homogenisieren der Schwarzen, eine Art Normalisierung stattfindet. Im Gegensatz zu den Weißen Charakteren, die mit all den Facetten des menschlichen Abgrunds aufwarten und mir so mal mehr und mal weniger unsympathisch waren.

Insgesamt lädt „Ein anderer Takt“ aber viel zum Interpretieren ein. Gerade das war mir absolut willkommen und hat den Roman für mich so spannend und reizvoll gemacht. Mehr noch als das Gesagt, ist das Ungesagte interessant. William Melvin Kelley ist ein hervorragender Schriftsteller, der weiß, mit Worten umzugehen. Besonders beeindruckend ist dabei seine Beschreibung davon, wie sich zum Ende des Romans die Stimmung entlädt.

(…) nein, es war ein Blick (…) er [der] vollkommen leer war, und diese Leere verriet, dass alle Alternativen – Zärtlichkeit, Brutalität, Lust oder Schmerz, Verständnis oder Unwissen, Glaube oder Zweifel, Mitgefühl oder Intoleranz, Vernunft oder blinder Fanatismus – längst verworfen waren; es war ein Blick, der verriet, dass der Mechanismus, der den Menschen zum Menschen macht, ausgeschaltet war; es war ein Blick, der sagte: Jetzt müssen wir kämpfen. Die Zeit des Redens ist vorbei, die Gewalt ist schon da, sie ist ein Teil von uns.

Seite 257

Fast genauso spannend wie „Ein anderer Takt“, fand ich auch die zwei Nachwörter, die spannendes Hintergrundwissen zu dem Autor und Roman geliefert haben. Daran schließe ich allerdings auch meinen Kritikpunkt an. In dem Roman kommt häufig das „N-Wort“ vor und ich hätte mir an dieser Stelle eine Einordnung durch den Übersetzer gewünscht. Manche Worte lassen sich einfach nicht 1:1 übersetzen und sind vor allem sehr kontextabhängig. Immer wieder frage ich mich, ob bestimmte Wörter wirklich reproduziert werden müssen oder ob sich der damit verbundene Schmerz auch anders darstellen lässt. Vielleicht ist es auch an der Zeit, solchen Büchern eine Trigger-Warnung vorauszuschicken, um zumindest drauf vorbereiten zu können.

EIN ANDERER TAKT

Ein anderer Takt
William Melvin Kelley

Übersetzt durch Dirk van Gunsteren
304 Seiten | Taschenbuch
ISBN: 978-3455006261
18€ (D) über Amazon [Affiliate Link]


Disclaimer: Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zum Rezensieren zur Verfügung gestellt. Dafür erstmal ein herzliches Dankeschön. Wie immer gilt aber, das Geschriebene spiegelt meine eigene Meinung wieder. Sollte mir etwas nicht gefallen, sage ich das auch. Ansonsten suche ich mir selber aus, welches Buch ich rezensieren möchte. Das heißt du wirst auf Lieschenradieschen nur authentische Leseberichte finden, die meinen eigenen Interessen entsprechen.

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