Die verschwindende Hälfte – was bedeutet Zugehörigkeit?

Cover des Buches Die verschwindende Hälfte von Brit Bennett

Rezension „Die verschwindende Hälfte“

Gut gesagt:

„Einem Körper konnte man Bezeichnungen zuordnen, aber einem Menschen nicht, und der Unterschied zwischen den beiden hing an dem Muskel in der Brust. Diesem geliebten Organ, ohne Empfindungen, ohne Bewusstsein, ohne Gefühl, es pumpt einfach immer weiter und hielt einen am Leben.“

Die verschwindende Hälfte, Seite 161

Darum geht’s in „Die verschwindende Hälfte“

Wie definiert sich Zugehörigkeit? Über den gesellschaftlichen Status? Über das Geschlecht? Oder vielleicht über die Hautfarbe? Im ländlichen Louisiana der 60er Jahre, mögen sicherlich alle drei Faktoren stimmen. Besonders schwer wiegt allerdings die Hautfarbe, in einer zutiefst rassistisch geprägten Gesellschaft.

Sie wusste nicht genau, was er meinte, aber Teil eines „wir“ zu sein gefiel ihr. Die Menschen glaubten, man wäre etwas Besonderes, wenn man einzigartig war. Dabei war man einfach nur einsam. Was einen zu etwas Besonderem machte, war Zugehörigkeit.

Seite 112

In Mallard blicken die Menschen mit viel Stolz auf ihre Tradition und ihre Geschichte, in der jede Generation ein wenig hellhäutiger zu werden scheint. In dieser Kleinstadt, die auf keiner Karte verzeichnet ist, wachsen die beiden Zwillinge Stella und Desiree auf. Ihr Vater wurde vor ihren Augen von Weißen ermordet und die Mutter kämpft jeden Tag ums Überleben. Als die beiden Töchter von der Schule genommen werden müssen, um zum Lebenunterhalt beizutragen, ist dies der Tropfen, der das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen bringt. Still und heimlich fliehen die Zwillinge aus Mallard und beginnen ein neues Leben in New Orleans.

Während Desiree den dunkelhäutigsten Mann heiratet, den sie finden kann, wechselt Stella mühelos zwischen den Welten hin und her und lernt schließlich einen reichen, Weißen Mann kennen.

Es soll schlussendlich Jahrzehnte dauern, bis sich die beiden Schwestern wiedersehen werden.

Gefällt weil:

„Die verschwindende Hälfte“ auf so vielen Eben ein toller Roman ist. Im englischsprachigen Raum wurde „The vanishing half“ schon lange hochgelobt und umso mehr Erwartungen hatte ich auch die deutsche Übersetzung. So viel sei gesagt, ich wurde nicht enttäuscht. Brit Bennett ist eine talentierte Schriftstellerin, die mit Worten umzugehen weiß. Selten habe ich mir in Romanen bisher so viele gute Zitate notiert, wie aus „Die verschwindende Hälfte“.

Dies ist allerdings nicht der alleinige Grund, weswegen der Roman so fesselnd ist. „Die verschwindende Hälfte“ spricht viele, hochaktuelle Themen an. Zum einen ist es natürlich eine berührende Familiengeschichte, die sich über drei Generation der Vignes-Frauen zieht und somit auch Charakterzüge eines Coming of Age Romans hat. Zum anderen geht es aber auch Rassismus, der Frage nach Zugehörigkeit und Identität, Geschlechterdimensionen und die Gesellschaft der USA in den 60er – 80er Jahren.

Sie malte sich aus, wie Loretta sich von dem Karton abstieß und auf sie zutrat. Mit in Ehrfurcht erstarrter Miene, als hätte sie etwas Wunderschönes und Vertrautes erblickt.
„Du musst dich nicht rechtfertigen“, würde sie sagen. „Es ist dein Leben.“
„Das ist es eben nicht“, würde Stella sagen. „Nichts davon gehört mir.“
„Du hast es dir nun mal ausgesucht“, würde Loretta ihr sagen. „Also ist es deins.“

Seite 243

Brit Bennet hat mit „Die verschwindende Hälfte“ ein unglaublich dichtes und notwendiges Werk geschaffen, das Freude bereitet, berührt und zum Nachdenken anregt. Von mir gibt es hier an dieser Stelle eine absolute Weiterempfehlung und ich wünsche mir von Herzen, dass so viele wie möglich, diesen wunderbaren Roman lesen können.

DIE VERSCHWINDENDE HÄLFTE

Die verschwindende Hälfte
Brit Bennett

416 Seiten | Gebundenes Buch
ISBN: 978-3498001599
22€ (D) über Amazon [Affiliate Link]


Disclaimer: Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zum Rezensieren zur Verfügung gestellt. Dafür erstmal ein herzliches Dankeschön. Wie immer gilt aber, das Geschriebene spiegelt meine eigene Meinung wieder. Sollte mir etwas nicht gefallen, sage ich das auch. Ansonsten suche ich mir selber aus, welches Buch ich rezensieren möchte. Das heißt du wirst auf Lieschenradieschen nur authentische Leseberichte finden, die meinen eigenen Interessen entsprechen.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Kommentare
Inline Feedbacks
Schaue alle Kommentare an