Halt – Rezension
Ein Coming of Age Roman so vielseitig wie das Leben
Gut gesagt:
„Was du immer so sagst. Deine Ratschläge, alles. Ich meine. Ich meine, normalerweise, wenn also, wenn man jemandem begegnet, der eine komplett andere Sicht auf die Welt hat als man selbst, dann, also, dann will man doch irgendwie, dass der andere falsch liegt, oder? Ich meine, wirklich komplett Unrecht hat. Und auf die Schnauze fällt. Aber da muss ich mich jetzt mal ausschließen. Ich will nicht, dass du enttäuscht wirst – von nichts und niemanden. Verstehst du? Am allerliebsten wäre es mir ja, wenn wir beide Recht hätten, aber da das nicht geht, würde ich mir wünschen, dass du Recht bekommst, weil ich die Niederlage wegstecken kann.“
Halt, Seite 153
Darum geht’s in Halt
Den Inhalt des Romans in wenigen Worten zusammenfassen scheint mir fast unmöglich, wird es doch der Komplexität und Vielschichtigkeit von Halt kaum gerecht. Belinda lebt als Hausmädchen in Kumasi bei einer wohlhabenden Familie. Gemeinsam mit ihrer Freundin Mary, die für sie eine Schwester geworden ist, polieren die beiden Gläser, kochen Essen und bügeln Wäsche.
Ammas Leben hingegen sieht ganz anders aus. Sie bringt zwar hervorragende Noten nach Hause in das schicke Londoner Heim ihrer Eltern, zufrieden sind diese dennoch nicht mit ihrer Tochter. Amma wird immer mürrischer und verschlossener und keiner weiß wieso. Kurzerhand beschließen die Eltern die einfühlsame und sittsame Belinda nach London zu bringen. Die Großstadt ist für Belinda aufregend und beängstigend gleichermaßen und die Telefonate mit Mary werden zu einem Ankerpunkt in der Heimat. Gleichermaßen nähren sich Amma und Belinda immer weiter an und eine tiefgreifende Freundschaft entsteht.
Gefällt weil:
Halt für mich einer der beeindruckendsten Romane ist, die ich seit langem gelesen habe. Es ist faszinierend, dass sich das Buch von Michael Donkor in keine Schublade stecken lässt. Am ehesten würde ich sagen, dass es sich bei Halt um einen Coming of Age Roman handelt, gepaart mit Erfahrungen der afrikanischen Diaspora, der Entdeckung der eigenen Sexualität und dem Geschlecht, der Frage nach Identität und Familie und all das eingebettet in die quirrligen Gassen von Kumasi und London.
Der Roman hat einen Sog entwickelt, dem ich mich nur schwer entziehen konnte. Der Autor hat es immer wieder geschafft, zu überraschen. Kaum hatte ich das Gefühl, die Charaktere zu kennen, kam eine neue Seite an ihnen hervor. Dabei sind Sympathien rasant von einer Person zur nächsten gewechselt, nur um am Ende atemlos festzustellen, dass nichts schwarz oder weiß ist und man keinen nur für eine Tat verurteilen kann. Wir Menschen sind so bunt wie das Leben und treffen manchmal Entscheidungen, die man nicht zwingend nachvollziehen kann, aber erst dieses Potpourri an Erfahrungen macht unsere Persönlichkeit aus. Das diese Persönlichkeit stetig im Wandel ist, ganz besonders wenn man in der Pubertät ist, macht Michael Donkor in Halt besonders klar deutlich.
Interessant ist ebenfalls der Einblick den man in die ghanaische Gesellschaft bekommt. Einiges mag vielleicht nicht überraschen, wenn man sich mit Land und Leuten schon mal auseinandergesetzt hat, vieles war für mich aber überraschend. Sei es landestypisches Essen, Redewendungen oder auch der Einblick in sozial-politische Strukturen, dies war sehr interessant für mich. Michael Donkor schafft es außerdem dies ganz beiläufig in seinen Roman einzubauen und so ein Gefühl von Authentizität zu schaffen. Sein Roman Halt ist echt, lebendig und so nah am Leben. An dieser Stelle spreche ich gerne eine uneingeschränkte Leseempfehlung aus.
HALT
Halt
Michael Donkor
Übersetzt durch Marieke Heimburger und Patricia Kolbusiczky
320 Seiten | Gebunden mit Shutzumschlag
ISBN: 978-3-96054-198-1
25€ (D) über EDITION NAUTILUS
Disclaimer: Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zum Rezensieren zur Verfügung gestellt. Dafür erstmal ein herzliches Dankeschön. Wie immer gilt aber, das Geschriebene spiegelt meine eigene Meinung wieder. Sollte mir etwas nicht gefallen, sage ich das auch. Ansonsten suche ich mir selber aus, welches Buch ich rezensieren möchte. Das heißt du wirst auf Lieschenradieschen nur authentische Leseberichte finden, die meinen eigenen Interessen entsprechen.