„Ante Mortem“ (Originaltitel „Les Aquatiques“) ist der beeindruckende Debütroman der kamerunischen Kunstfotografin und Dokumentarfilmerin Osvalde Lewat. Nun wurde ihr 2021 erschienenes Werk ins Deutsche übersetzt und ist im InterKontinental Verlag (übrigens einer meiner Lieblingsverlage) erschienen. Katmé Abbiba, die Hauptfigur des Romans, erfährt, dass das Grab ihrer Mutter zwanzig Jahre nach ihrem Tod versetzt werden soll. Mit diesem Ereignis beginnt ein Strudel aus Ereignissen. Katmé muss sich nicht nur ihrer Vergangenheit stellen, sondern auch mit ansehen, wie ihr Ehemann dieses Ereignis regelrecht ausschlachtet, um auf der politischen Karriereleiter weiter hinaufzuklettern. Und dann wird auch noch ihr langjähriger Freund Samy bei dessen regimekritischen Ausstellungseröffnung verhaftet und öffentlich als Homosexuell geoutet. Undenkbar in dem fiktiven afrikanischen Staat, wo der Roman angesiedelt ist.
Ante Mortem von Osvalde Lewat
Aleksandre stellte die Beine wieder nebeneinander, und als hätte er eine plötzliche Eingebung, sprang er auf und sah sie schelmisch an.
„Sie möchten Samuel wirklich sehen? Verkleiden Sie sich!“
„Wie bitte?“
„Wenn Sie ins Gefängnis gehen. In diesem Land, in dem man alles kaufen kann, werden Sie schnell jemanden finden, der Ihnen falsche Papiere mit einem unkenntlichen Gesicht ausstellt. Das wird Samuels Situation nicht ändern, aber wenigstens können Sie ihn sehen, ihn moralisch stützen, ihm Nachrichten überbringen, das ist immerhin etwas.“– Ante Mortem, Seite 126
Darum geht’s in Ante Mortem
Katmé lebt ein privilegiertes Leben. Ihr Mann verdient als Politiker gutes Geld und Katmé hat die Möglichkeit ihren Künstlerfreund Samy zu unterstützen und sich zum Lunch mit anderen wohlhabenden Ehefrauen zu treffen. Einige von ihnen begleiten ihre Diplomatenehemänner aus dem Ausland, andere sind ebenfalls mit Politikern verheiratet. Nach außen die perfekte Welt und doch unterliegt Katmé einer Vielzahl von Zwängen, sowohl durch die ihr zugeschriebenen Rolle als Frau, als auch in ihrer Gesellschaftsschicht.
Als ihr Ehemann jedoch aus Prestigegründen das Grab ihrer vor 20 Jahren verstorbenen Mutter versetzen lässt, wird ein Ball ins Rollen gebracht, der sich nicht mehr aufhalten lässt. Katmé muss sich ihrer Vergangenheit stellen und dann wird Samy auch noch verhaftet. Inoffiziell ist schnell klar, es ist auf Grund seiner Homosexualität und seiner Kritik am Regime, welche er in seiner Kunst verpackt. Obwohl er bereits international erste Anerkennungen erhält, kann ihm keiner Helfen und auch Katmé sind die Hände gebunden. Die zwei langjährigen Freunde beginnen sich zu entzweien und der Hass gegenüber Samy nimmt von allen Seiten immer weiter zu.
„Ante Mortem“ ist ein brutaler Roman, der leider die Lebensrealität vieler homosexueller Menschen widerspiegelt, deren Rechte weder politisch noch gesellschaftlich verankert sind. So musste ich beim Lesen eins ums andere Mal ordentlich schlucken und habe gebraucht, das Gelesene zu verarbeiten. „Ante Mortem“ ist bei weitem kein Spaßroman, aber ein äußerst wichtiger! Gerne möchte ich ihn nochmal lesen, um all die unterschiedlichen Nuancen zu verstehen. Katmés Suche nach Liebe und gleichzeitige Festhalten an ihren Ehemann, ihre Familiengeschichte und die zahlreichen Anspielungen auf unmögliche Expats, Regierungen, denen die Bevölkerung egal sind und andere gesellschaftliche Missstände, welche wir so oder so ähnlich sicherlich fast überall auf der Welt begegnen können.
Ich habe ein bisschen gebraucht, um in den Schreibstil von Osvalde Lewat reinzufinden, wurde dann aber mit einem beeindruckenden Roman belohnt. Trotz der Traurigkeit und bisweilen Ausweglosigkeit der Geschichte, habe ich die Erzählung dennoch genossen und fand sie äußerst wichtig. „Ante Mortem“ ist sicherlich auch für dich ein spannendes Buch, wenn du dich für Gesellschaftspolitik, Frausein in einem afrikanischen Land im 21. Jahrhundert und Homosexualität interessierst. Eine breit gefächerte Themenwal, die natürlich gut zusammen funktioniert und durch Osvalde Lewat in „Ante Mortem“ geschickt in einen großen Erzählstrang kombiniert.
Mehr spannende Titel aus dem InterKontinental Verlag findest du ebenfalls auf meinem Blog. In „Die erste Frau“ geht es ins Uganda der 1970er Jahre, in welchem ein junges Mädchen unter der Schreckensherrschaft Idi Amins versucht ihren Weg in der Welt zu finden. Und „Butter Honig Schwein Brot“ ist ein transgenerationaler Familienroman, der in Nigeria spielt, und eines meiner Lieblingsbücher 2024 ist.
Osvalde Lewat
Ante Mortem
Übersetzt durch Laura Haber
Gebundenes Buch
296 Seiten | ISBN: 978-3982328195
26€ [D] über Amazon [Affiliate Link]
Disclaimer: Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zum Stöbern und Rezensieren zur Verfügung gestellt. Dafür erstmal ein herzliches Dankeschön. Wie immer gilt aber, das Geschriebene spiegelt meine eigene Meinung wieder. Sollte mir etwas nicht gefallen, sage ich das auch. Ansonsten suche ich mir selber aus, welches Buch ich rezensieren möchte. Das heißt du wirst auf Lieschenradieschen reist nur authentische Leseberichte finden, die meinen eigenen Interessen entsprechen.