Die erste Frau – Kirabos Suche nach sich selbst im Uganda der 1970er Jahre

Eine Hand hält das Buch "Die erste Frau" von Jennifer Nansubuga Makumbi gegen eine hellblaue Wand.

In “Die erste Frau” begleiten wir Kirabo auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden. Sie wächst bei ihren Großeltern im ländlichen Uganda auf, die sie während der andauernden Gewaltherrschaft von Idi Amin mit Liebe, aber auch Härte vor der Welt zu schützen versuchen. Je älter Kirabo wird, desto mehr stellt sie sich Fragen nach ihrer Herkunft, sucht nach ihren Wurzeln und emanzipiert sich gleichzeitig von ihrer Familie. Ein spannender Coming of Age Roman über Familie und Wurzeln, unterschiedlichen Feminismen und das Uganda der 1970er Jahre.

Die erste Frau

Werbung, da Rezensionsexemplar

Nattetta lag still. Diese Stille, die auf einen Sturm folgt. Als wäre die Welt noch in Ehrfurcht erstarrt. Alle waren in ihren Häusern – Männer hörten in ihren Schlafzimmern Radio, Frauen webten Matten, Kinder rösteten und kauten in Küchen Erdnüsse und Mais. Die Luft war frisch und klar. Der Staub war vom Laub entlang der Straße weggewachsen. Sie lief los, aber ihre Schuhe waren schwer.

Die erste Frau, Seite 526

Darum geht’s in Die erste Frau

Uganda in den 1970er Jahren. Idi Amin ist bereits Präsident, doch davon bekommt Kirabo, die im ländlichen Uganda aufwächst, erstmal wenig mit. Ihre Großeltern beschützen sie mit liebevoller Fürsorge, aber Kirabo hat viele Fragen, die sie nicht beantworten können oder wollen. Als junges Mädchen liebt sie das Geschichten erzählen und verlässt manchmal selbst ihren Körper, um sich ihrem Alltag und unangenehmen Situationen zu entziehen. Kirabo möchte das dies aufhört und gleichzeitig auch mehr über ihre Mutter erfahren, die sie als Baby verlassen hat. Dafür wendet sie sich an die vermeintliche Dorfhexe Nsuuta. Ihre Großeltern dürfen davon jedoch nichts mitbekommen, denn Nsuuta, ihre Großmutte Aliksia und ihren Großvater Miiro scheint etwas zu verbinden, was weit in die Jugend der drei zurückreicht.

Mit “Die erste Frau” hat Jennifer Nansubuga Makumbi einen unglaublich berührenden Roman geschaffen, der mit Stereotypen bricht und andere Perspektiven aufzeigt. Kirabo wächst in der wohlhabenden Mittelschicht Ugandas auf, in der sich Wohlstand jedoch anders ausdrückt, als in unserem westeuropäischen Verständnis. Diese Spannungsfelder stellt die Autorin sehr eindrücklich im unterschiedlichen Wohlstandsverständnis von Miiro und dessen Sohn Tom dar. Was dem Einen seine Kühe und Felder sind, sind dem anderen sein Auto und seine Wohnung in Kampala.

Dies sind jedoch nicht die einzigen Themenfelder, in denen Widersprüche ganz bewusst deutlich gemacht werden. Besonders interessant fand ich das Spiel mit unterschiedlichen Feminismen. Es wird nicht nur deutlich, dass jede Generation ein anderes Verständnis von Feminismus hat, sondern das es ganz gravierenden Unterschiede zwischen dem sogenannten globalen Norden und globalen Süden gibt. Oftmals vergisst oder lässt der weiße Feminismus bewusst andere Perspektiven aus und dies wird zurecht durch die Autorin Makumbi in “Die erste Frau” kritisiert.

All dies wird jedoch ohne erhobenen Zeigefinger getan, sondern geschickt in die Geschichte von Kirabo eingeflochten, die ihren ganz eigenen Emanzipationsprozess durch das Aufwachsen bei ihren Großeltern, kurzzeitig dem Vater, später der Tante und dann auch der eigenen, wachsenden Selbstständigkeit durch Schule und Gespräche mit anderen durchlebt. Der Schrecken, der durch das Regim Idi Amins ausgeübt wurde, taucht dabei eher am Rande und durch Andeutungen und kurze Episoden auf, und wirft so seinen bitteren Schatten um so deutlicher auf das Leben von Kirabo und ihren Liebsten.

In einer ersten Version dieser Rezension habe ich bemängelt, das mir ein Glossar fehlt. Daraufhin wurde ich auf den spannenden Mitschnitt eines Gesprächs mit Jennifer Nansubuga Makumbi hingewiesen, in dem sie erklärt, weshalb sie dagegen ist mit Glossaren zu arbeiten. Den Link zum Youtube Video findest du hier… (ab Minute 17:00 und 30:00).

Es geht ihr unter anderem darum, dass Luganda ihre Muttersprache ist und Hand in Hand mit dem Englischen geht, aber auch ganz andere Dinge auszudrücken weiß und gleichzeitig in einer Hierarchie und Konkurrenz zueinander stehen. Darüber hinaus ist Sprache wie eine Reise und das ist nicht immer einfach. Es ist unsere Aufgabe Sprache zu verstehen und zu hinterfragen. Ein interessanter Standpunkt, den die Autorin hat, und gleichzeitig damit auch einen Perspektivwechsel herbeiführt. Außerdem schreibt die Autorin mit einer ugandischen Leserschaft im Kopf, die kein Glossar benötigt.

Auf der anderen Seite fand ich die Einordnung “Sprache.Macht.Wirkung.” am Ende des Romans sehr gelungen. Während man “Die erste Frau” liest, muss man sich wenig Sorgen machen, ob die Übersetzung gedankenlos oder vielleicht sogar gewaltvoll sein könnte. Alakati Neidhardt hat mit ihrer sorgfältigen und wohlüberlegten Übersetzungsarbeit dafür gesorgt, dass ich mich beim Lesen entspannen konnte. Danke!

“Die erste Frau” ist ein äußerst gelungener Roman, der noch lange in mir nachgehallt hat. Im Vorfeld meiner Reise nach Uganda im Mai 2023 habe ich nach Literatur aus dem Land gesucht. Das war gar nicht so einfach, insbesondere in deutscher Übersetzung, und umso dankbarer bin ich darüber, dass Jennifer Nansubuga Makumbi die erste ugandische Autorin war, mit der ich in Berührung gekommen bin, das sie meine Neugierde auf dieses ostafrikanische Land weiter entfacht hat und es sicherlich nicht der letzte Roman aus und über Uganda war.

Ein spannendes Interview mit der Autorin über Feminismus, das Aufwachsen in Ugandas Mittelschicht und dem Entstehen des Romans findest du bei der taz. Sehr lesenswert.

Jennifer Nansubuga Makumbi
Die erste Frau

Übersetzung durch Alakati Neidhardt
Gebunden
532 Seiten | ISBN: 978-3982328119
26€ [D] über InterKontinental


Disclaimer: Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zum Stöbern und Rezensieren zur Verfügung gestellt. Dafür erstmal ein herzliches Dankeschön. Wie immer gilt aber, das Geschriebene spiegelt meine eigene Meinung wieder. Sollte mir etwas nicht gefallen, sage ich das auch. Ansonsten suche ich mir selber aus, welches Buch ich rezensieren möchte. Das heißt du wirst auf Lieschenradieschen reist nur authentische Leseberichte finden, die meinen eigenen Interessen entsprechen.

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[…] die Aufgabe der Autorin, alles vorzukauen (siehe dazu auch die spannenden Ansichten der Autorin von “Die erste Frau” Jennifer Nansubuga Makumbi). Dennoch habe ich Sorge, dass bei solch einem spannenden Thema schnell die Lust vergehen […]