Passt ein Leben zwischen Buchseiten? Im Fall von “Demon Copperhead” gibt Barbara Kingsolver die Antwort auf 864 Seiten und zeichnet das tragische Leben des Demon Copperheads. Er kommt zwischen Tabakfarmen und Trailern zur Welt und erfährt recht schnell, wie hart das Aufwachsen in den Wäldern Virginas sein kann, wenn der Vater tot ist und die Mutter Drogensüchtig. Ein ergreifendes Buch, das meinetwegen auch nochmal genau so viele Seiten hätte haben können, denn Demons Leben ist wie ein Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann.
Demon Copperhead von Barbara Kingsolver
Ein Zehnjähriger, der sich Tabletten einpfeift. Dumme Kinder. Das ist es, was wir sagen sollen: Seht euch an, wofür sie sich entscheiden – für den Weg ins Verderben. Aber jetzt, in diesem Augenblick, werden in den schmutzigen Rissen zwischen behüteten Zubettgehritualen und vollen Einkaufswagen Leben gelebt, in denen diese Wörter nicht gelten: Kinder, Entscheidungen. Verderben, das war der Rohstoff, das Material, mit dem wir arbeiten mussten (…). Wir hatten den Mond, der uns eine Weile durchs Fenster zulächelt und sagte, dass die Welt uns gehörte. Weil die Erwachsenen irgendwohin gegangen waren und alles in unsere Hände gegeben hatten.
Demon Copperhead, Seite 125
Darum geht’s in Demon Copperhead
Demon Copperhead wächst in einem Teil der USA auf, der oft als Hillybilly-Region verspottet wird. Doch für ihn ist es als kleiner Junge das Paradies. Gemeinsam mit seinem Freund Maggot streift er stundenlang durch die Wälder, beobachtet das Flackern der Glühwürmchen oder geht mit Mr. Paggot angeln. Im Trailer, bei seiner Mutter, die bei Walmart arbeitet und versucht, clean zu bleiben, muss er jedoch mehr Verantwortung tragen, als es ein Kind in seinem Alter sollte. Als der Draufgänger Stoner in den fragilen Mikrokosmos der kleinen Familie drängt, gerät Demons Leben endgültig aus den Fugen. Es folgen zahlreiche Verluste, Stationen bei Pflegefamilien, Armut und Drogensucht. Trotz allem setzt Demon dem eine gewisse Resilienz entgegen und erzählt in seinen Worten von dem harten Leben, welches ihn immer wieder niederzudrücken scheint, wenn es gerade bergauf geht.
“Demon Copperhead” ist zweifellos ein fesselnder Roman, der einen nicht so schnell loslässt. Noch während ich diese Rezension verfasse, denke ich mit einem gewissen Herzschmerz an das Lesen zurück. In einer anderen Buchbesprechung habe ich gelesen, dass die Leserin Demon nicht allein lassen wollte, bei all dem Schlechten, was ihm widerfährt, und mir ging es ähnlich. Man mag Demon nicht seinem Schicksal überlassen und hofft von Seite zu Seite auf Besserung. Dieses Gefühl verdanken wir nicht zuletzt der gewaltigen Bildsprache Barbara Kingsolvers, die mir mit einzelnen Sätzen immer wieder Gänsehaut beschert hat.
Dieses fesselnde Werk präsentiert das Leben eines Draufgängers, das ständig am Abgrund balanciert und dennoch in jedem Moment einen Funken Hoffnung birgt. Als ein triumphaler Millionenbestseller aus den USA erzählt es von einem Kampf gegen alle Widrigkeiten. Dabei offenbart es auf ebenso humorvolle wie schmerzhaft ehrliche Weise die Wirklichkeit eines Lebens, das von Anfang an von Siegern und Verlierern geprägt zu sein scheint, jedoch zeigt es auch, dass diese Zuschreibungen nicht in Stein gemeißelt sind. Es ist ein zutiefst berührendes, lebendiges und authentisches Werk, das die Leser*innen mitnimmt auf eine Reise voller Höhen und Tiefen, aber auch voller Möglichkeiten und Hoffnung. Absolute Leseempfehlung!
Barbara Kingsolver
Demon Copperhead
Übersetzt durch Dirk van Gunsteren
Gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag
864 Seiten | ISBN: 978-3423283960
26€ [D] über Amazon [Affiliate Link]
Disclaimer: Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zum Stöbern und Rezensieren zur Verfügung gestellt. Dafür erstmal ein herzliches Dankeschön. Wie immer gilt aber, das Geschriebene spiegelt meine eigene Meinung wieder. Sollte mir etwas nicht gefallen, sage ich das auch. Ansonsten suche ich mir selber aus, welches Buch ich rezensieren möchte. Das heißt du wirst auf Lieschenradieschen reist nur authentische Leseberichte finden, die meinen eigenen Interessen entsprechen.